Interpretationen zum Werk
Chloé Saloniki, die Betrügerin? Ist Chloé Saloniki eine Betrügerin?
Hierzu möchte ich in der Folge einige Aspekte nennen, die auf Chloé Saloniki als „Betrügerin“ hinweisen:
Der erste Aspekt ist die Geschichte, die sie Archilochos zu ihrer Kindheit erzählt:
Sie behauptet Tochter kretischer Einwanderer zu sein, die in irgendeinem Winter erfroren seien. Von da an habe sie, so ihre Erzählung Archilochos gegenüber, als Waise gelebt: Im Elendsviertel aufgewachsen, habe sie gestohlen und geplündert, wurde von Polizei und Zuhältern verfolgt und schlief unter Brücken, in leeren Fässern zwischen Vaganten. Eines Tages wurde sie jedoch angeblich von den Weemans, einem Archäologen-Ehepaar aufgenommen und besuchte ab da eine Nonnenschule bis sie als Dienstmädchen bei ihren Wohltätern zu arbeiten begann, was sie bis heute tue.
Archilochos glaubt ihr diese Geschichte ohne sie zu hinterfragen (S.23, 24). Bis zur Begegnung mit den Weemans ist ihre Geschichte auch nicht widerlegbar. Allerdings bringt Archilochos Gespräch mit den Weemans den letzten, sie betreffenden Teil der Geschichte ins Wanken: Auf Seite 150 entschuldigt sich Archilochos für das „Missverständnis“. Ich denke, dieses Missverständnis beinhaltete die von Chloé behauptete Beziehung zwischen den Weemans und ihr, die in Realität, wie Archilochos nun aufgegangen war, nie existiert hatte. Das erklärt auch die Verwirrung der Weemans die sie bei jedem Zusammentreffen mit Archilochos zeigen, wenn dieser sie offen anspricht (S.34-35, 117, 150).
Der zweite Aspekt ist die Szene beim Verlassen des Restaurants, als das Paar bei dessen Spaziergang durch die Stadt von allen Würdenträgern begrüsst wird:
Das Erstaunen des Archilochos, plötzlich von all den von ihm so bewunderten Würdenträgern begrüsst zu werden, wird von Chloé als Selbstverständlichkeit oder als normales soziales Verhalten abgetan (S.27-30).
Der dritte Aspekt ist die Überschreibung des Schlösschens von „einem anonymen Wohltäter“ auf Archilochos:
Als Archilochos ein Schlösschen von einem anonymen Wohltäter überschrieben bekommt (S. 96, 97).,vermutet er, dies den Weemans zu verdanken zu haben. Auf Seite 104 wird diese Vermutung von Chloé unterstützt. Doch auch das ist nicht wahr, denn als Archilochos am nächsten Tag die Bediensteten fragt, von wem sie eingestellt wurden, antworten alle mit: „Von Mademoiselle Chloé“. Er nimmt in diesem Moment noch an, dass eine Verwechslung vorliege (S.113-115).
Auflösung und „Auffliegen“ des „Betrugs:
Erst zur Hochzeit in der Kapelle auf Seite 122 und 123, begreift Archilochos, dass er eine Kurtisane geheiratet hat und die Begrüssungen von all seinen Idolen (den Würdenträgern) nicht ihm galten, sondern seiner Frau. Sie hatte ihn, so sein Fazit, belogen.
Die Lesenden wissen schon vor der Übergabe des Schlösschens, dass die Weemans in einem Hotel (dem „Ritz“) wohnen, nicht im Schlösschen. Hätte somit das Schösschen ihnen gehört, hätte es keinen erklärbaren Grund gegeben, die Übergabe anonym zu machen. Wenn hingegen, so die andere mögliche Variante, Chloé ihren Reichtum verheimlichen möchte, um ihre Geschichten der armen Kindheit und des Dienstmädchendaseins aufrechtzuerhalten, kann sie das Schlösschen nur anonym auf Archilochos überschreiben. Diese zweite Version erscheint um Einiges plausibler, als das Szenario mit den Weemans.
Also ja, einerseits ist Chloé Saloniki wohl eine „Betrügerin“: Sie hat Archilochos Einiges verschwiegen und ihn in gewissen Dingen belogen. Auf Seite 153 erklärt sie ihm allerdings, wieso sie das getan habe: Sie habe ihm den Traum des unschuldigen Mädchens nicht zerstören wollen, habe jedoch, wie sie meint, durch ihre Lügen alles schlimmer gemacht. Dennoch hofft sie, diese grosse Enttäuschung habe ihre Liebe nur noch stärker und echter werden lassen.
Wichtig ist hierzu andererseits, dass Chloé Archilochos nur zu bestimmten Aspekten belogen bzw. ihm Dinge verschwiegen hat: Zu diesem Punkt lohnen sich meiner Ansicht nach zwei Fragen:
Chloé Saloniki: Dreh-und Angelpunkt der Geschichte und Wendepunkt des Lebens des Archilochos
Von dem Tag an, an dem Chloé im Leben von Archilochos auftauchte, veränderte sich alles für ihn. Im Beruf wird er vom untersten Unterbuchhalter der Geburtszangenabteilung zum Generaldirektor der Geburtszangen- und Atomkanonenabteilung befördert (S.41-61). Vor kurzem noch ein durchschnittliches Mitglied der altneupresbyteranischen Gemeinde, wird er vom Bischof Moser gebeten, dem Weltkirchenrat beizutreten (S. 71- 76). Ein Künstler interessiert sich für seinen Körper und malt ihn als Ares (S.83-90) und von seiner kleinen Wohnung mit Flecken an der Wand, zieht er in ein kleines Schlösschen mit im Boden eingelassenem Bad, Weinkeller, Bediensteten, Studierzimmer und einem Schlafzimmer mit einem Himmelbett, ohne Flecken an der Wand (S.96-115).
Archilochos war vom Beruf her Unterbuchhalter der Petit-Paysan-Maschinenfabrik in der Geburtszangenabteilung. Am Tag nachdem er mit Chloé zusammen durch die Stadt gelaufen war, beginnt er seinen Arbeitstag wie immer (S.38, 39), wird jedoch von seinem Vorgesetzten, dem Buchhalter, bestellt, der ihm mitteilt, dass ihn der Oberbuchhalter sehen wolle, welcher ihm seinerseits mitteilt, Petit-Paysan wolle ihn sprechen. Als Generaldirektor der Geburtszangen- und der Atomkanonenabteilung verlässt er an diesem Tag die Firma (S.41-61). Es ist anzunehmen, dass seine Beziehung zu Chloé, die wohl auch Petit-Paysan zum Kunden hatte, dies alles bewirkte.
Archilochos ist treuer Besucher der Gottesdienste des Predigers Thürcker in der Heloisen-Kapelle (S. 71). Nachdem er die Tickets für die „Julia“ gekauft hatte, geht er zu Bischof Moser, der ihn gerne im Weltkirchenrat hätte. Archilochos nimmt mit einem „Wenn sie meinen…“ an (S. 73). Auch Bischof Moser war wohl ein (ehemaliger) Kunde Chloés.
Nach dem Gespräch mit Bischof Moser besucht Archilochos eine Kunstaustellung, in der einige Gemälde vom Künstler Passap hängen. Dort sieht er ein Nackt-Gemälde von Chloé mit der Bezeichnung „Venus 11. Juli“. Daraufhin geht er zum Künstler. Passap möchte sofort ein Nacktbild von Archilochos als Ares machen, was auch umgesetzt wird (S.83-90). Hier ist der Einfluss Chloés etwas indirekter. Wenn er sie allerdings nicht getroffen hätte, hätte er nicht so auf das Gemälde reagiert und wäre nicht zu Passap gefahren. Dann wäre das Ares-Bild von Archilochos auch nicht entstanden.
Archilochos lebt in einer Mansarde im fünften Stock. Seine Wohnung ist stickig und es ist ein ständiges Brummen zu hören (S.37). Am Abend vor der Hochzeit, will er sich noch mit Chloé im Boulevard St. Pierre treffen. Dort befindet sich ein kleines Schlösschen, das er bis dahin noch nicht kannte. Als er eintritt, wird er schon vom Advokaten Dutour erwartet, der ihm das Schlösschen von einer anonymen Person übergeben soll. Archilochos nimmt dankend an (S.96-100). Auch hier ist es Chloé’s Einfluss zu verdanken, denn das Schlösschen gehörte ihr. Sie war die anonyme Wohltäterin und nicht, wie Archilochos glaubte, die Weemans. Den Hinweis auf die Besitzerin des Schlösschens geben die Bediensteten, die sagen, sie seien von Chloé eingestellt worden (S. 113-115).
Insgesamt kann also festgehalten werden, dass Archilochos materiell und sozial auf der ganzen Linie von seiner Bekanntschaft mit Chloé Saloniki profitiert und dieses Geschenk auch annimmt, als wäre es etwas Selbstverständliches. Dies einerseits in Bezug auf das mangelnde Hinterfragen dieser äusserst positiven und ans Wunderbare grenzenden Umbrüche in seinem Leben und deren Verbindung zu seiner Person: Warum geschieht das ihm, dem unscheinbaren Unterbuchhalter? Hat er so etwas durch irgendein besonders hervorragendes Verhalten oder Können verdient? Andererseits aber auch in Bezug auf eine angemessene Wertschätzung dieser überaus wundersamen Beschenkung (Freude, Glück, Dankbarkeit?): Er scheint dies alles anzunehmen, wie er auch schon vorher sein Leben fristete: Durchschnittlich und passiv. Schlimmer noch: Er ist, als er die „wahre“ Vergangenheit Chloés erfährt, nicht etwa dankbar für all diese Geschenke, sondern will sich erlauben, Chloé „moralisch“ zu verurteilen.
Klar ist auch, dass diese ganze wundersame und erzählenswerte Geschichte ohne die Figur der Chloé Saloniki nie entstanden wäre: Die Geschichte des Archilochos ohne Chloé wäre wohl schnell und wenig spektakulär zu erzählen gewesen. Sein Leben wäre wohl ohne Chloé Saloniki so zu Ende gegangen, wie es bis anhin verlaufen war.
Es ist also die „Betrügerin“ Chloé Saloniki, die das Leben des Archilochos erzählens- und lebenswert gemacht hat: Um sie dreht sich das ganze Geschehen des Romans. Erst durch sie entsteht der Stoff der „Prosakomödie“ von Dürrenmatt: Die Geschichte des Archilochos, die ihrerseits erst durch deren Wendepunkt, der Begegnung mit Chloé, einen lebens- und erzählenswerten Inhalt erhielt.
Hierzu möchte ich in der Folge einige Aspekte nennen, die auf Chloé Saloniki als „Betrügerin“ hinweisen:
Der erste Aspekt ist die Geschichte, die sie Archilochos zu ihrer Kindheit erzählt:
Sie behauptet Tochter kretischer Einwanderer zu sein, die in irgendeinem Winter erfroren seien. Von da an habe sie, so ihre Erzählung Archilochos gegenüber, als Waise gelebt: Im Elendsviertel aufgewachsen, habe sie gestohlen und geplündert, wurde von Polizei und Zuhältern verfolgt und schlief unter Brücken, in leeren Fässern zwischen Vaganten. Eines Tages wurde sie jedoch angeblich von den Weemans, einem Archäologen-Ehepaar aufgenommen und besuchte ab da eine Nonnenschule bis sie als Dienstmädchen bei ihren Wohltätern zu arbeiten begann, was sie bis heute tue.
Archilochos glaubt ihr diese Geschichte ohne sie zu hinterfragen (S.23, 24). Bis zur Begegnung mit den Weemans ist ihre Geschichte auch nicht widerlegbar. Allerdings bringt Archilochos Gespräch mit den Weemans den letzten, sie betreffenden Teil der Geschichte ins Wanken: Auf Seite 150 entschuldigt sich Archilochos für das „Missverständnis“. Ich denke, dieses Missverständnis beinhaltete die von Chloé behauptete Beziehung zwischen den Weemans und ihr, die in Realität, wie Archilochos nun aufgegangen war, nie existiert hatte. Das erklärt auch die Verwirrung der Weemans die sie bei jedem Zusammentreffen mit Archilochos zeigen, wenn dieser sie offen anspricht (S.34-35, 117, 150).
Der zweite Aspekt ist die Szene beim Verlassen des Restaurants, als das Paar bei dessen Spaziergang durch die Stadt von allen Würdenträgern begrüsst wird:
Das Erstaunen des Archilochos, plötzlich von all den von ihm so bewunderten Würdenträgern begrüsst zu werden, wird von Chloé als Selbstverständlichkeit oder als normales soziales Verhalten abgetan (S.27-30).
Der dritte Aspekt ist die Überschreibung des Schlösschens von „einem anonymen Wohltäter“ auf Archilochos:
Als Archilochos ein Schlösschen von einem anonymen Wohltäter überschrieben bekommt (S. 96, 97).,vermutet er, dies den Weemans zu verdanken zu haben. Auf Seite 104 wird diese Vermutung von Chloé unterstützt. Doch auch das ist nicht wahr, denn als Archilochos am nächsten Tag die Bediensteten fragt, von wem sie eingestellt wurden, antworten alle mit: „Von Mademoiselle Chloé“. Er nimmt in diesem Moment noch an, dass eine Verwechslung vorliege (S.113-115).
Auflösung und „Auffliegen“ des „Betrugs:
Erst zur Hochzeit in der Kapelle auf Seite 122 und 123, begreift Archilochos, dass er eine Kurtisane geheiratet hat und die Begrüssungen von all seinen Idolen (den Würdenträgern) nicht ihm galten, sondern seiner Frau. Sie hatte ihn, so sein Fazit, belogen.
Die Lesenden wissen schon vor der Übergabe des Schlösschens, dass die Weemans in einem Hotel (dem „Ritz“) wohnen, nicht im Schlösschen. Hätte somit das Schösschen ihnen gehört, hätte es keinen erklärbaren Grund gegeben, die Übergabe anonym zu machen. Wenn hingegen, so die andere mögliche Variante, Chloé ihren Reichtum verheimlichen möchte, um ihre Geschichten der armen Kindheit und des Dienstmädchendaseins aufrechtzuerhalten, kann sie das Schlösschen nur anonym auf Archilochos überschreiben. Diese zweite Version erscheint um Einiges plausibler, als das Szenario mit den Weemans.
Also ja, einerseits ist Chloé Saloniki wohl eine „Betrügerin“: Sie hat Archilochos Einiges verschwiegen und ihn in gewissen Dingen belogen. Auf Seite 153 erklärt sie ihm allerdings, wieso sie das getan habe: Sie habe ihm den Traum des unschuldigen Mädchens nicht zerstören wollen, habe jedoch, wie sie meint, durch ihre Lügen alles schlimmer gemacht. Dennoch hofft sie, diese grosse Enttäuschung habe ihre Liebe nur noch stärker und echter werden lassen.
Wichtig ist hierzu andererseits, dass Chloé Archilochos nur zu bestimmten Aspekten belogen bzw. ihm Dinge verschwiegen hat: Zu diesem Punkt lohnen sich meiner Ansicht nach zwei Fragen:
- ob dies die in Bezug auf ihrer beiden Beziehung wirklich wichtige Dinge waren (sie betrafen ja eine Vergangenheit, die Chloé abzulegen wünschte) und
- ob Chloé nicht sogar im Gegenteil besonders aufrichtig Archiochos (und ihrer gemeinsamen Gegenwart und Zukunft) gegenüber war, wenn es um ihre Absicht geht, ihn zu heiraten, also ihr Leben auf immer mit seinem zu verbinden und dies auf tiefer, echt empfundener Liebe zu begründen. Sie will, auch wenn sie beide sozial und materiell von ihrer Vergangenheit profitieren, zudem aufrichtig diese Vergangenheit ablegen.
Chloé Saloniki: Dreh-und Angelpunkt der Geschichte und Wendepunkt des Lebens des Archilochos
Von dem Tag an, an dem Chloé im Leben von Archilochos auftauchte, veränderte sich alles für ihn. Im Beruf wird er vom untersten Unterbuchhalter der Geburtszangenabteilung zum Generaldirektor der Geburtszangen- und Atomkanonenabteilung befördert (S.41-61). Vor kurzem noch ein durchschnittliches Mitglied der altneupresbyteranischen Gemeinde, wird er vom Bischof Moser gebeten, dem Weltkirchenrat beizutreten (S. 71- 76). Ein Künstler interessiert sich für seinen Körper und malt ihn als Ares (S.83-90) und von seiner kleinen Wohnung mit Flecken an der Wand, zieht er in ein kleines Schlösschen mit im Boden eingelassenem Bad, Weinkeller, Bediensteten, Studierzimmer und einem Schlafzimmer mit einem Himmelbett, ohne Flecken an der Wand (S.96-115).
Archilochos war vom Beruf her Unterbuchhalter der Petit-Paysan-Maschinenfabrik in der Geburtszangenabteilung. Am Tag nachdem er mit Chloé zusammen durch die Stadt gelaufen war, beginnt er seinen Arbeitstag wie immer (S.38, 39), wird jedoch von seinem Vorgesetzten, dem Buchhalter, bestellt, der ihm mitteilt, dass ihn der Oberbuchhalter sehen wolle, welcher ihm seinerseits mitteilt, Petit-Paysan wolle ihn sprechen. Als Generaldirektor der Geburtszangen- und der Atomkanonenabteilung verlässt er an diesem Tag die Firma (S.41-61). Es ist anzunehmen, dass seine Beziehung zu Chloé, die wohl auch Petit-Paysan zum Kunden hatte, dies alles bewirkte.
Archilochos ist treuer Besucher der Gottesdienste des Predigers Thürcker in der Heloisen-Kapelle (S. 71). Nachdem er die Tickets für die „Julia“ gekauft hatte, geht er zu Bischof Moser, der ihn gerne im Weltkirchenrat hätte. Archilochos nimmt mit einem „Wenn sie meinen…“ an (S. 73). Auch Bischof Moser war wohl ein (ehemaliger) Kunde Chloés.
Nach dem Gespräch mit Bischof Moser besucht Archilochos eine Kunstaustellung, in der einige Gemälde vom Künstler Passap hängen. Dort sieht er ein Nackt-Gemälde von Chloé mit der Bezeichnung „Venus 11. Juli“. Daraufhin geht er zum Künstler. Passap möchte sofort ein Nacktbild von Archilochos als Ares machen, was auch umgesetzt wird (S.83-90). Hier ist der Einfluss Chloés etwas indirekter. Wenn er sie allerdings nicht getroffen hätte, hätte er nicht so auf das Gemälde reagiert und wäre nicht zu Passap gefahren. Dann wäre das Ares-Bild von Archilochos auch nicht entstanden.
Archilochos lebt in einer Mansarde im fünften Stock. Seine Wohnung ist stickig und es ist ein ständiges Brummen zu hören (S.37). Am Abend vor der Hochzeit, will er sich noch mit Chloé im Boulevard St. Pierre treffen. Dort befindet sich ein kleines Schlösschen, das er bis dahin noch nicht kannte. Als er eintritt, wird er schon vom Advokaten Dutour erwartet, der ihm das Schlösschen von einer anonymen Person übergeben soll. Archilochos nimmt dankend an (S.96-100). Auch hier ist es Chloé’s Einfluss zu verdanken, denn das Schlösschen gehörte ihr. Sie war die anonyme Wohltäterin und nicht, wie Archilochos glaubte, die Weemans. Den Hinweis auf die Besitzerin des Schlösschens geben die Bediensteten, die sagen, sie seien von Chloé eingestellt worden (S. 113-115).
Insgesamt kann also festgehalten werden, dass Archilochos materiell und sozial auf der ganzen Linie von seiner Bekanntschaft mit Chloé Saloniki profitiert und dieses Geschenk auch annimmt, als wäre es etwas Selbstverständliches. Dies einerseits in Bezug auf das mangelnde Hinterfragen dieser äusserst positiven und ans Wunderbare grenzenden Umbrüche in seinem Leben und deren Verbindung zu seiner Person: Warum geschieht das ihm, dem unscheinbaren Unterbuchhalter? Hat er so etwas durch irgendein besonders hervorragendes Verhalten oder Können verdient? Andererseits aber auch in Bezug auf eine angemessene Wertschätzung dieser überaus wundersamen Beschenkung (Freude, Glück, Dankbarkeit?): Er scheint dies alles anzunehmen, wie er auch schon vorher sein Leben fristete: Durchschnittlich und passiv. Schlimmer noch: Er ist, als er die „wahre“ Vergangenheit Chloés erfährt, nicht etwa dankbar für all diese Geschenke, sondern will sich erlauben, Chloé „moralisch“ zu verurteilen.
Klar ist auch, dass diese ganze wundersame und erzählenswerte Geschichte ohne die Figur der Chloé Saloniki nie entstanden wäre: Die Geschichte des Archilochos ohne Chloé wäre wohl schnell und wenig spektakulär zu erzählen gewesen. Sein Leben wäre wohl ohne Chloé Saloniki so zu Ende gegangen, wie es bis anhin verlaufen war.
Es ist also die „Betrügerin“ Chloé Saloniki, die das Leben des Archilochos erzählens- und lebenswert gemacht hat: Um sie dreht sich das ganze Geschehen des Romans. Erst durch sie entsteht der Stoff der „Prosakomödie“ von Dürrenmatt: Die Geschichte des Archilochos, die ihrerseits erst durch deren Wendepunkt, der Begegnung mit Chloé, einen lebens- und erzählenswerten Inhalt erhielt.